Gault&Millau Hüttenguide Tirol (A): Schau mir unter die Haube, Kleine!

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Auf der Alp soll es nicht nur keine Sünd‘, sondern auch keine Konservenküche geben. So verspricht es der Feinschmecker-Guide Gault&Millau (AT) mit einer neuen Kategorie.

DIE FAKTEN
Buchtitel: «Gault&Millau Alm- und Hüttenguide Tirol (2024)»
7. Ausgabe
Preis: CHF 12.90

Teddy B Tipps zur Ausrüstung:

Wander-ABC: Das muss mit!

DIE GANZE GESCHICHTE
Auf der Alp, da gibt’s längst nicht mehr nur Konservenküche, sondern «frische, regionale und saisonale Gerichte». So versprechen es die Tiroler. Und haben den österreichischen Feinschmecker-Guide Gault&Millau durch die Kategorie «Hüttenhaube» erweitert. Gleich 72 Alphütten schmücken sich mit einer solchen Haube. Von «Frische-Feuer» ist die Rede. Und davon, dass «der Trend zu frischem, ergo auch gesundem Essen unaufhaltsam» sei. Von «verfeinerten Speisen, wo Fett zugunsten des Geschmacks eingespart und alte Rezepte adaptiert und neue Geschmacksvarianten integriert würden». Auch am optischen Auftrittsbild sei gearbeitet worden.

Gault&Millau Hüttenguide Tirol: Alpen-Gourmet

Klingt wie eine göttliche Verheissung! Also auf und die Chose getestet! Ausgangspunkt ist Steeg, ein Mini-Dorf im oberen Lechtal, etwa 1 ½ Autostunden von der Grenze bei Feldkirch entfernt. Gleich «hinter» dem Arlberg. Herrlich grün, herrlich ruhig und angenehm verschlafen. Viele der Hotels im Lechtal sind im rustikalen Chaletstil erbaut und tragen Rot und Weiss auf den Balkonen.



Lechtal: Im Wandertenu zur Götterspeise

Zum ersten «Test» geht es Richtung «Petersbergalm» auf 1250 Metern, eine der «Hauben-Hütten» im Tiroler Hüttenguide. Wie das mit dem Haubenzauber auf der Hütte in Hinterhornbach wohl sein wird? Brenesselschaumsüppchen auf einem Heubett serviert – so wie der legendäre Heuburdeli-Kafi auf der Nidwaldner Bannalp -, knackiger Salat mit Löwenzahnblüten vom Hornbach-Ufer oder ein leichtes Käsesüppchen mit Kräutercroutons? Wo doch auf den saftigen Weiden dieser Alp mehr als 20 Kühe grasen – mehr als genug «Stoff» für Käse- und frische Kräuterspezialitäten, aus denen Gourmet-Träume sind.

Hüttenzauber ja – Haubenzauber nein

Das Alpbeizli «Petersbergalm» ist einladend hübsch und heimelig, so wie viele Alphütten. Auch hier blühen rote Geranien vor den Fenstern, im Freien stehen lange Holztische und -bänke. Käser Karlheinz Strohmeier verarbeitet jeden Sommer etwa fünf  Tonnen Käse und zeigt Gästen stolz den Reifekeller. Bevor er seine Brotzeitplatte serviert. Mit hausgemachten Käsespezialitäten vom 2-Monate-«Jungspund» bis zum reifen Alten. Und dazu Schinken. Und Salamiwurst. Und weitere Charcuterie-Köstlichkeiten, allesamt gut und deftig. Serviert auf einem Holzbrett, ergänzt durch Zwiebeln und Tomaten. Aber nichts mit Schaumsüppchen, Blumendekor oder Alpenkräuter-Feeling.

Kochen am offenen Herd

Am selben Abend steht der Besuch einer klassischen Tiroler Gaststätte an, die bereits eine Institution, aber nicht im Hüttenguide aufgeführt ist. In seiner «Geierwally» im Lechtaler Dorf Elbigenalp kocht Wirt Guide Degasperi seit Jahrzehnten am offenen Herd mitten im Restaurant. Hier werden Tiroler Spezialitäten zubereitet, die so köstlich deftig munden wie sie klingen: Schlampenknödel, Krautkrapfen, Tiroler Herrenpilzsuppe und zum Dessert eine spannende Variante des berühmten Kaiserschmarrns. Das Ambiente ist urchig, die Stimmung gemütlich – auch ohne jede «Hüttenhaube». Und die Freilichtbühne der legendären Geierwally nur 300 Meter entfernt.

Mit einer Kräuterhexe auf Tour

Natürlich werden Gäste auch Schnäpse probieren, eine ehrliche, gute Hausbrennerei besichtigen. Und auf Kräutertour gehen mit einer «Hexe». Auf der Sonnalm auf 1800 Metern, etwas unterhalb der Jöchelspitze, lernen sie von «Kräuterhexe» Daniela, dass der Blaue Eisenhut, ein hochgewachsener Schönling, tödlich sein und Enzian zu einem aromatischen Schnaps gebrannt werden kann. Und Brennesselblätter ganz viel Vitamin C in sich tragen. Ob solche Kräuterschätze auch kulinarisch genutzt werden?

Wandern und Schlemmen im Tannheimertal

Nicht in jenen Betrieben, die man sich testweise aus dem Tiroler Hüttenguide pickt. Auch nicht im Tannheimertal, einem touristisch gut erschlossenen Hochtal im Westen Tirols und umgeben von zahlreichen Zweitausendern. Samt Seen wie dem Haldensee, dem verträumten Vilsalpsee und tollen Wandermöglichkeiten. Im Tannheimertal gönnen sich viele Gäste ein Ausflug auf die «Krinnenalpe». Dieser Alpgetrieb ist ebenfalls Hauben-gekürt und erreichbar mit einer Sesselbahn vom Dorf Nesselwängle aus. Auf der 1530 Meter hoch gelegenen Krinnenalpe sorgt Hüttenwart Martin Rief für das Wohl von 150 Kühen und vielen Tagesgästen. Sein Stolz seit über 30 Jahren: Die «Hüttenpfanne», ein Schwergewicht aus Carréspeck, Eiern, Zwiebeln, Knoblauch, Peperoni, Tomaten und Bergkäse. «Is a bissserl was Deftiges», betont er augenzwinkernd. Auch Riefs Produkte stammen überwiegend aus einheimischer Produktion; vom Bergkäse über Sulz bis zu Speck.

Gault&Millau: Optik ist auf den Hütten sekundär

Was darf man in einem Gault&Millau-Alpbetrieb erwarten – und was NICHT? «Beste Qualität der Speisen und Getränke, professionellen und zuvorkommenden Service und ein Angebot, das über manchen Klassiker hinausgeht», heisst es laut Chefredaktion. Und: «Fertig gekaufte Salate, Dosensuppen und dergleichen stehen in Gault&Millau-Hütten nicht im Programm.» Welche Rolle spielen Optik und Präsentation auf dem Teller – wo sich viele doch auf phantasievolle Kulinarik-Arrangements freuen? Auch hier wird relativiert: «Hüttenessen ist nach wie vor traditionell und ehrlich, da braucht es kein Kreativporzellan und Verzierungen.» Vielleicht auch gar keine «Hüttenhaube»?

Einfach eine Marketing-Idee?

Fazit: In Alpbetrieben im Tirol isst man überwiegend gut, deftig und heftig – lokale, regionale, ehrliche Gerichte, vieles davon aus eigener Produktion. Vermutlich mit und ohne Gault&Millau-Hüttenguide. Für die frischen Wilden allerdings macht man sich besser selber auf den Wanderweg; dort stehen Klappertopf, Johanniskraut und wilde Rosen stramm. Für den Sternenzauber bleibt ja der Himmel…

Infos

Teddy B, August 2018

Teddy B – auch präsent auf Facebook und Instagram und mit eigenem Youtube-Kanal.

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