Die Region Pays-d’Enhaut ist «Scherenschnitt-Land». Dabei scheren Künstler wie Corinne Karnstädt aus. Mit frechen Girlies, BH’s und viel «Bling-Bling».
DIE FAKTEN
Wo: Rossinière in der Waadtländer Region Pays-d’Enhaut
Künstlerin: Corinne Karnstädt
Besonderes: Scherenschnitte mit «Bling-Bling»-Effekt
Buchtipps:
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Henri Matisse. Zeichnen mit der Schere
Scherenschnitt Naturmotive
Matisse – Scherenschnitte
Anreise: Mit ÖV oder Auto via Bulle oder Gstaad – Saanen – Rougemont – Château-d’Oex oder von Aigle her nach Rossinière und weiter zu «Madame Bling-Bling» (Besuche nach vorheriger Anmeldung)
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DIE GANZE GESCHICHTE
Hast Du schon mal einen Scherenschnitt mit BH-, Auto- oder Handy-Motiv gesehen? Wo doch üblicherweise Alpaufzüge, Sennen und Kühe einen Scherenschnitt ausmachen! Das gilt auch für die Region Pays-d’Enhaut im Waadtländer Oberland, Wiege der Schweizer Scherenschnitt-Kunst.
Corinne Karnstädt: Scherenschnitt in den Genen?
Bei Corinne Karnstädt in La Tine, Rossinière, ist alles anders. Und sie selbst eine Autodidaktin, die im Jahr 2008 ihren ersten Scherenschnitt kreierte. Damals wurde sie vom «Virus» infiziert (siehe auch letzten Absatz). Seither sind ihre Scherenschnitte weit über das Pays-d’Enhaut hinaus beliebt. Auch in Corinnes Werken stehen Sennen, Kühe und Chalets im Zentrum. Aber nicht nur. Ihre Scherenschnitte strahlen auch städtischen Chic aus und sind ungewohnt feminin. So treten ebenso selbstverständlich Girls oder besser Girlies an. Im Minijupe, mit hohen Absätzen und Taschen am Arm. Derweil an einer Leine Wäsche flattert. Meistens mit dabei: Herzen und BH’s. Auch Rosa oder Gelb darf mal sein.
Bling-Bling darf und muss sein
Den femininen Touch ortet die Papierkünstlerin in ihrer Kindheit und Jugend. «Ich bin in Lausanne mit drei Schwestern aufgewachsen und wünschte mir als junge Frau eine Tochter», sagt Corinne. «Ausserdem mag ich es selbst glänzend in Bezug auf Schmuck, Kleidung oder Schuhe. Ein bisschen ‘Bling-Bling’ darf sein! Es ist meine Art, mich auszudrücken.» «Statt» einer Tochter gebar sie zwei Söhne, und «Bling-Bling» musste warten. 1998 wars, als die junge Mutter mit ihrer Familie schliesslich nach Rossinière ins Haus ihrer Urgrosseltern zog. Und damit ins «Scherenschnitt-Land» Pays-d’Enhaut.
Scherenschnitte: Mit Cutter statt Schere
Zehn Jahre später entstand ihr erster Scherenschnitt. Anschliessend ging es Schlag auf Schlag. Corinnes feminine Kreationen wurden ebenso in Galerien aus- als in internationalen Zeitschriften vorgestellt. Obwohl oder weil sie anders sind als klassische Scherenschnitte. Und Corinne ausschliesslich mit Cutter statt Schere arbeitet. Inzwischen kreiert sie auf Auftrag auch Hochzeitskarten, Sujets für Uhren oder Taschen und Dekorartikel.
Kann jedermann dieses Handwerk erlernen? «Ja», ist Corinne überzeugt, «man muss nur üben, üben, üben.» Ihre Kunst vermittelt sie inzwischen auch anlässlich von Workshops.
Ein Scherenschnitt mit 2’200 Swarovski-Steinchen
Und wie war das nochmals mit «Bling-Bling»? Diesen Hang lebt Corinne Karnstädt inzwischen noch stärker aus. Seit einigen Jahren erstrahlen einzelne Scherenschnitte in edlem Glanz. Aus einer Laune heraus arbeitete die Künstlerin eines Tages Swarovski-Steinchen in eines ihrer Werke ein. Alle Welt war verblüfft und begeistert. Und Corinne «glänzte» weiter. Davon zeugt etwa das Werk «CélesTîne», ein Scherenschnitt mit Baum und Kuh und Girlie – und umrahmt von 2’200 Swarovski-Steinchen! Madame «Bling-Bling» macht halt keine halben Sachen…!
Und wer hat’s erfunden?
Ihren Ursprung hat die Kunst des Scherenschnittes im Orient; um 1600 muss sie von China über Indonesien, Persien und den Balkan nach Mitteleuropa gelangt sein. Und hat anschliessend den Weg in die Waadtländer Alpen gefunden. Dort wurde sie von zwei Künstlern aufgenommen und verbreitet. Von Johann Jakob Hauswirth (1809-1871) und Louis Saugy (1871-1953). Hauswirth, von Beruf Knecht, Köhler und Holzfäller aus Saanen, schilderte mit seinen Werken das alpine Alltagsleben. Louis Saugy, ein Briefträger aus dem nahen Rougemont, tat es ihm Jahrzehnte später gleich. Und durfte in seinem Atelier sogar Persönlichkeiten wie Winston Churchill und die spanische Königsfamilie empfangen.
Alte und neue Künstler
In Rougemont kann man auf den Spuren von Louis Saugy wandeln. Zudem sind Hauswirths und Saugys Werke im Scherenschnitt-Museum in Château-d’Oex (aktuell entsteht ein Neubau, das Museum ist deshalb geschlossen) zu sehen.
Wer sich für die heutigen Scherenschnitte interessiert: Mehrere lokale Künstler im Pays-d’Enhaut öffnen ihre Ateliers und vermitteln ihr Knowhow in Kursen.
Teddy B, August 2020
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Teddy B – auch präsent auf Facebook, Instagram und Youtube.